Loreley

Mein Intercity hechelt mal wieder seiner obligatorischen Verspätung hinterher, 13 Minuten laut Durchsage – kaum erwähnenswert. Seneca erzählt mir vom glücklichen Leben, ab und zu schweifen meine Gedanken ab und mein Blick wandert aus dem Fenster. Die Welt draußen ist mit ‘grau’ hinlänglich treffend beschrieben. Der Schnee der vergangenen Wochen ist restlos weg, dunkle Wolken ziehen am Himmel entlang, als müssten sie ihren Zug kriegen.

Der Rhein fließt grau und träge neben der Bahnstrecke entlag. Oder umgekehrt. Sogar der angejahrte Intercity ist von außen schmutzig-grau. Wie das im Fernverkehr meistens so ist, sitzen etliche Ortsunkundige im Zug. Offensichtlich sind wie immer zwei Gruppen zu erkennen: Rentner die Verwandte besuchen oder in den Urlaub fahren, und Geschäftsleute auf dem Weg zu einem Termin. Wie ich auch. Mit Anzug, Trolley, Umhängetasche. (Wie ich nicht.) Aus der Tasche kommen meist ziemlich schnell irgendwelche Papiere oder Laptops hervor. Ab und zu ein Blick aus dem Fenster, ansonsten konzentrierte Arbeit. (Zumindest am Tag. Beginnend am frühend Abend verschwinden die Geschäftsleute gerne mit gelockerter Krawatte im Speisewagen um später mit einer veritablen Bierfahne zurückzukommen.)

Draußen huscht also das Rheintal vorbei, Mainz, Rüdesheim, Bingen, Kaub und dann kommen wir an der Loreley vorbei. ‘Die Loreley’ ist eigentlich ein Felsen und ziemlich unspektakulär. Auf der östlichen Seite des Rheins ragt er empor, oben sind ein paar Fahnenmasten zu erkennen. Unten an der Mauer die die Bundesstraße 42 vor dem in-den-Fluss-fallen bewahrt, hat man mit großen Lettern und schwarz auf weiß ‘LORELEY’ geschrieben. Das ist nicht ganz unlustig, da da unten außer diesem Wort nichts weiter zu sehen ist. Trotzdem geht unweigerlich und bei jeder meiner wöchentlichen Fahrten die Parole ‘Loreley’ durch den Wagen. Irgendjemand hat aufgepasst und teilt seinem Gegenüber (bekannter oder unbekannterweise) mit, dass hier gleich ‘die Loreley’ käme. Diese Kunde wandert nun wie der Geruch von gammelndem Fisch durch den Wagen.

Und jeden den sie erreicht, veranlasst sie, den Hals zu recken und aus dem Fenster zu starren. Bald wird erwähnter Schriftzug entdeckt, gefolgt von einigen ‘Ah’s und ‘Oh’s. Vermutlich in den meisten Fällen ohne jede tiefere Kenntnis von den Hintergründen der Sage und dem was es da eigentlich zu sehen gibt. Da geht es jedenfalls nicht um das was man da am Fuß des Felsens sehen kann. Ziemlich bald wird eben jener langweilig und die Leute hören auf rauszuschauen. Und verpassen damit die schöne Messingskulptur der Loreley, die man durchaus in Augenhöhe auf einer Landzunge im Fluss platziert hat und die, so man nicht den von hinten zugänglichen Loreleyfelsen erklimmt um auf den Fluss herab zu blicken, noch am ehesten sehenswert ist.

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